Monika Rügen: DU WIRST WIEDER GEHEN

[…] In banger Erwartung klingelten wir an der Tür der Intensivstation. Wir wurden hineingelassen und mussten grüne Kittel überziehen. Auf der Station herrschte große Unruhe, ein ständiges Kommen und Gehen. Ich versuchte mit aller Kraft, mich unter Kontrolle zu halten: nicht zu weinen, Haltung anzunehmen, kurz, nicht „gebrochen“ zu wirken.

Hendrik lag in einem durch einen Vorhang geteilten Raum, in dem noch ein weiterer Intensivpatient behandelt wurde. Als ich unseren Sohn dort sah, übermächtig groß, mit einem gleißenden Licht in der Hand, staunte ich: Er lächelte. Das Licht gab es natürlich nur vor meinem inneren Auge, aber er lächelte tatsächlich! Erleichtert erkannte ich, was das bedeutete.

Ich streichelte Hendriks Kopf und seine Hände, dabei flüsterte ich ihm immer wieder zu: „Es wird alles wieder gut!“ Mein Sohn machte auf mich den Eindruck, als habe er noch gar nicht begriffen, was mit ihm geschehen war. Bestimmt hatte man ihm ein Beruhigungsmittel in den Tropf getan.

[…] Hendrik konnte den Kopf nicht drehen, nur die Augen bewegen. Er wurde noch leicht künstlich beatmet, weil Wasser in seine Lunge geraten war. Über den Tropf, an dem er lag, wurde er sicher mit einem Schmerzmittel, einem Antibiotikum und Cortison versorgt, was aber in einer akuten Phase auch in Ordnung ist, weil es keine Alternative gibt. Er konnte sprechen, auch seine Mimik war völlig normal. Doch abgesehen davon stand es schlimm um ihn: Vom Ellenbogen abwärts gehorchten die Arme seinem Willen nicht, die Hände bewegte er nur spastisch, die Feinmotorik funktionierte nicht. Alles andere – Beine, Rumpf und Urogenitalbereich – war vollkommen gelähmt. Auch der Kopf war steif, schon allein durch die Halskrause, doch auch ohne sie hätte er ihn nicht bewegen können. Da bewegte sich nichts, gar nichts.

Ich war zutiefst erschüttert. Trotzdem dachte ich: Gott, ich habe immer noch Vertrauen zu dir. Es wird wieder gut! Ganz bewusst rief ich mir das Bild meines fröhlich vor sich hin laufenden Sohnes wieder vor Augen und wiederholte in Gedanken die Worte: Du wirst wieder gehen! Dieses Bild war so präsent und so stark, dass niemand es mir nehmen konnte. Es war nie verzerrt; ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, Abstriche daran zu machen. Ich konnte mir einfach nichts anderes vorstellen, als dass Hendrik wieder laufen würde.

Ich nahm die Situation so an, wie sie nun einmal war – ich nahm sie in mein Bewusstsein auf. Probleme entstehen erst dadurch, dass wir eine Situation bewerten. Liebe aber wertet nicht, Liebe nimmt an.

Von den Ärzten hatte Hendrik bereits erfahren, wie es um ihn stand, und war natürlich niedergeschlagen. Ich nahm seine Hand, drückte sie ganz fest und sagte ihm: „Hendrik, ich weiß, dass alles wieder gut wird. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Er schaute mich nur stumm an.

Ich bat Hendrik: „Sag mir, was du spürst.“ „Mama“, antwortete er, „ich spüre meinen ganzen Körper. Ich habe nur das Gefühl, er ist schrecklich schwer, wie Blei. Ich kann nichts bewegen, aber ich spüre alles.“

Um seine Reflexe zu prüfen, fingen wir an, Hendrik an den Beinen zu kitzeln und zu streicheln; dabei werden die feinsten Nerven angesprochen. Er sagte uns, was er spürte, und wir glaubten ihm, denn er konnte es ja nicht sehen. Sein Blick war gezwungenermaßen zur Decke oder nur leicht zur Seite gerichtet. Als ich eine Fußreflexzonenmassage machte, konnte Hendrik mir die Art der Berührungen genau beschreiben, konnte unterscheiden, ob ich drückte, streichelte oder kitzelte, ob ich ihn kratzte und welchen Zeh ich berührte. Er spürte es tatsächlich!

Begeistert erzählten Gerhard und ich den Ärzten davon, wurden aber sofort nüchtern belehrt: „Das ist nicht weiter von Bedeutung. Sie müssen sich das so vorstellen wie bei einem Kriegsverletzten, der Phantomschmerzen hat. Das Gehirn hat den neuen Zustand noch nicht gespeichert, so kommt es zu einer falschen Information. Es ist absolut unmöglich, dass Ihr Sohn etwas spürt.“

Ich protestierte, aber die gelehrten Herren Doctores beriefen sich auf ihre Erfahrung – was nicht sein darf, kann nicht sein.
[…]

Frau Rügen zur Zusammenarbeit mit CONLEXIS BIOGRAPHIEN:

Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich in Frau Gerber von Anfang an die passende Partnerin für mich und mein Vorhaben, meine Geschichte zu veröffentlichen, gefunden habe. Die gemeinsame Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Frau Gerber hatte großes Verständnis und viel Geduld mit mir. Es ist ihr gelungen, mein Anliegen, also die Botschaft, die ich mit diesem Buch vermitteln will, in meiner Sprache wirklich treffend umzusetzen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Es freut mich, dass ich nun ruhigen Gewissens mit dem Werk, das wir zusammen erstellt haben, an die Öffentlichkeit gehen kann. Es war eine gute Arbeit, eine lange Arbeit, aber manche Dinge brauchen eben bisschen länger. Wichtig ist allein: Es ist ein schönes, gutes Buch geworden.

Monika Rügen

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